Motivation und Ziele
Dieser Leitfaden richtet sich in erster Linie an produzierende Unternehmen, die variantenreiche Produktportfolios anbieten und deren Umfeld einem ständigen Wandel unterliegt. Von der Umsetzung einer Modul- und Plattformstrategie zur Reduzierung interner Varianten und Beherrschung der auf dem Markt angebotenen Variantenvielfalt versprechen sich Unternehmen Kostenvorteile. Häufig werden dadurch nötige Produktanpassungen erschwert, wenn die Änderungen die Plattform betreffen, was hohe Folgekosten nach sich ziehen kann.
Viele Zyklen, wie z. B. veränderte Kunden- und Marktanforderungen, neue Wettbewerbsprodukte, neue technologische Potentiale oder legislative Änderungen, zwingen Unternehmen dazu, neu entwickelte Produkte auf dem Markt anzubieten. Oft werden diese Produkte mit hohem Aufwand erzeugt und die Variantenvielfalt erhöht sich. Wesentliche Herausforderung ist folglich der Kompromiss zwischen Maximierung der Standardisierung von Produktbauteilen zur Komplexitätsreduktion und der Gewährleistung von Flexibilität zur proaktiven oder reaktiven Anpassung der Produkte an Umwelteinflüsse. Um diesen Zielkonflikt zu adressieren, ist der Aufbau einer Plattform aus einem robusten Kern, der über die Lebensspanne der Plattform hinweg konstant bleibt, und flexiblen Modulen, die vorzunehmende Anpassungen ermöglichen, vorzusehen . Schlüssel zur Entwicklung einer zyklengerechten Modul- und Plattformstrategie ist es also, zu identifizieren, welchen fixen Umfang der robuste Plattformkern über die gesamte Lebensdauer haben soll, und in welchem Umfang Freiheitsgrade zur Anpassung innerhalb der Lebensdauer der Plattform vorzusehen sind.
Der vorliegende Leitfaden präsentiert dafür Methoden und Handlungsanweisungen, um eine zyklen- und änderungsorientierte Modul- und Plattformdenkweise zu etablieren. Die Methodik beschreibt eine Vorgehensstrategie, die die Umsetzung einer zyklenorientierten Modul- und Plattformdenkweise von der Planung über die Gestaltung bis hin zum Lebenszyklusmanagement einer Produktplattform erlaubt. Dementsprechend besteht die Methodik aus drei Phasen. In den jeweiligen Phasen werden situativ anzupassende Methoden und Vorgehensweisen vorgeschlagen, durch deren Anwendung eine Modul- und Plattformstrategie erstellt werden kann, die hinsichtlich der oben genannten Zyklen optimiert ist. Die drei Phasen sind um Handlungsanweisungen für typische Entscheidungsfälle und Hinweise zur Orientierung ergänzt.
Die Methodik adressiert die Planung, Entwicklung, Einführung, Modernisierung, sowie die Überwachung einer Plattformstrategie und der daraus resultierenden Plattformarchitektur. Deshalb stellt der Leitfaden eine praktische Anleitung für strategische Planungsabteilungen, das Produkt- und Variantenmanagement, aber auch für Entwicklungsabteilungen dar. Durch die propagierte zyklengerechte Modul- und Plattformdenkweise werden Unternehmen unterstützt, die durch die Neugestaltung oder grundlegende Überarbeitung einer Plattformstrategie trotz eines sich stetig ändernden Umfelds Skaleneffekte erzielen wollen.
Nutzung
Der vorliegende Leitfaden richtet sich an Unternehmen, die eine Modul- und Plattformstrategie einführen oder neu gestalten wollen. Praktiker aus den strategischen Bereichen der Produktplanung und des Variantenmanagements, aber auch Anwender aus der Entwicklung (Konzept-, Detailentwicklung, Upgrade- Entwicklung) finden in diesem Leitfaden Vorgehensschritte und Methoden zur Gestaltung und Pflege einer zyklengerechten Modul- und Plattformstrategie.
Die Methodik ist einerseits in die drei Phasen „Planung Flexibilität“, „Operationalisierung“ und „Lebenszyklusmanagement“, und andererseits jeweils in eine Top- Down- und eine Bottom-Up-Perspektive unterteilt (siehe Abb. 1.1). Die Top- Down-Perspektive vertritt die strategische Sichtweise auf die Gestaltung und die Pflege der Modul- und Plattformstrategie, während im Bottom-Up-Ansatz die produktarchitekturseitigen Aktivitäten der Entwicklung verortet sind.
Für jede Phase und jede Perspektive wird zunächst ein Überblick gegeben, bevor einzelne Schritte und Methoden detailliert beschrieben werden.
In den Beschreibungen sind Verweise auf Methoden (Methode↗) angegeben, die in Form von Steckbriefen zusammengefasst und alphabetisch sortiert sind. Es soll als alphabetisch sortiertes Nachschlagewerk für die eingesetzten Methoden dienen.
Das Projekt SFB 768 – TP T1
Das Transferprojekt T1 „Methodik zur Erstellung zyklengerechter Modul- und Plattformstrategien“ wurde vom 01.01.2012 bis zum 31.12.2014 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Das Projekt startete zu Beginn der zweiten Förderperiode des Sonderforschungsbereichs 768 „Zyklenmanagement von Innovationsprozessen – verzahnte Entwicklung von Leistungsbündeln auf Basis technischer Produkte“ (SFB 768). Es wurde von Mitarbeitern des Lehrstuhls für Produktentwicklung an der Technischen Universität München bearbeitet. Als Kooperationspartner nahm die BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH eine tragende Rolle in der Anwendung und Evaluation der Methodik ein.
Rolle im Sonderforschungsbereich 768
Das Transferprojekt T1 adressierte den Transfer und die Weiterentwicklung der im Bereich des Zyklenmanagements von Innovationsprozessen erarbeiteten Erkenntnisse des SFB 768 in die industrielle Praxis. Dazu wurden im Transferprojekt Ergebnisse der ersten Förderperiode des SFB 768 beim Kooperationspartner angewendet. Das Transferprojekt diente dem SFB 768 außerdem als Feedbackinstrument, um die industrielle Relevanz der Forschung zu bestätigen.
Rolle beim Kooperationspartner
Die Ausgangssituation des Kooperationspartners zeigt eine große Vielfalt unterschiedlicher Produktvarianten im Markt. Diese Variantenvielfalt ist zum einen historisch über verschiedene Marken, Fertigungsstandorte und Lieferanten gewachsen, zum anderen einem breiten Produktspektrum und einer Vielzahl von Änderungsprojekten geschuldet. Kerntreiber dieser Variantenvielfalt sind Zyklen im Markt, Umfeld und Unternehmen ebenso wie im Produkt und den damit verbundenen Technologien. So zeigen sich Zyklen in Markt und Umfeld z. B. in Form von Messen oder veränderten Umweltrichtlinien. Innerhalb des Unternehmens treten Zyklen in Form von Entwicklungszyklen neuer Produkte und Varianten unter Einbeziehung neuer Technologien ebenso wie in Form von Kostensenkungsprojekten bestehender Produkte und Varianten auf. Der Forschungspartner ist exemplarisch für einen beobachtbaren Trend in der produzierenden Industrie: die externe Varianz und Dynamik des Produktportfolios steigt, um den Anforderungen einer immer stärkeren Dynamik in den Märkten zu begegnen.
Die Herausforderung der beschriebenen Situation besteht darin, eine änderungsorientierte Plattformarchitektur zu erstellen, in der auftretende Zyklen berücksichtigt sind und die damit verbundene Variantenvielfalt beherrscht wird. Daraus wurden für das Transferprojekt drei Zielsetzungen für die Entwicklung der Methodik abgeleitet:
- Identifikation,Charakterisierung und systematische Antizipation zyklischer Einflussfaktoren, welche die Produkt- und Technologieplanung beeinflussen,
- Befähigung der Planungsabteilungen zur Entscheidungsfindung hinsichtlich der geeigneten Modul- und Plattformstrategie,
- Befähigung der Entwicklungsabteilungen zur Erarbeitung der entsprechenden zyklengerechten Plattformarchitekturen,
- Unterstützung zur kontinuierlichen Kontrolle und Anpassung der Modul- und Plattformstrategie.
Einerseits soll also für die Planungsabteilungen methodische Unterstützung bei der Identifizierung relevanter zyklischer Einflussfaktoren und der darauf basierenden Plattformdefinition (Umfang der Plattform sowie marktgetriebene Flexibilität auf funktionaler Ebene) gegeben werden. Daran anknüpfend wird eine Unterstützung bei der Erstellung von Entwicklungs-Roadmaps benötigt. Außerdem ist ein Kontroll- und Steuerungsmechanismus notwendig, der den Erfolg der Umsetzung rollierend überprüft und auf nicht antizipierbare Einflüsse effizient reagiert.
Andererseits soll die Entwicklungsabteilung in der Erarbeitung zyklengerechter Plattformarchitekturen unterstützt werden. Neben der Entwicklung von Modulkonzepten soll die Produktarchitektur so optimiert werden, dass die benötigte Varianz und die damit verbundenen Änderungen effizient umgesetzt werden können. Neben dem Abgleich der Plattformarchitektur und der Entwicklungsorganisation werden auch die Updates mit Hilfe von Roadmaps synchronisiert.
Die zentralen Fragen des Projekts werden wie folgt zusammengefasst:
- Welche zyklischen Einflüsse wirken auf die Plattformsysteme?
- Wie können diese zyklischen Einflüsse charakterisiert und antizipiert werden
- Wie können die Auswirkungen der Zyklen bestimmt werden?
- Welche Maßnahmen (strategisch, organisatorisch, architektonisch) können zur Handhabung der identifizierten Zyklen eingesetzt werden?
Theoretische Grundlagen
Zyklenmanagement in Innovationsprozessen
Unternehmen stehen vor der Herausforderung, unternehmensinterne und -externe Einflussgrößen auf Innovationsprozesse zu handhaben. Beispiele sind der Wunsch der Märkte nach Produktinnovationen, Verabschiedung von Gesetzen und Vorschriften, und inkrementelle oder radikale Innovationen von Produkt- und Produktionstechnologien. Gleichzeitig beeinflussen diverse interne Faktoren den Innovationsprozess: Entwicklungs- und Produktionsprozesse werden angepasst, die Struktur des Leistungsangebots wird variiert, Innovationszyklen sowie die Zeitspannen zur Integration neuer Technologien verkürzen sich, Personal- und Organisationsstrukturen unterliegen den ständigen Veränderungen, Entscheidungspunkte und Informationsflüsse müssen definiert und koordiniert werden. Gleiches gilt für verwendete Vorgehensweisen, Methoden und Werkzeuge. Neben ihrer Dynamik und Unsicherheit stehen diese internen und externen Zyklen in zeitlich und inhaltlich veränderlicher Abhängigkeit zueinander.
Zyklenmanagement umfasst die Planung, Steuerung und Kontrolle von Zyklen und ihrer Wechselwirkungen. Gegenwärtige Trends und Anforderungen an das Gestalten von Innovationsprozessen werden systematisch adressiert. Für innovierende Unternehmen bedeutet dies eine neue Perspektive, um heutige und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.
Ein Zyklus ist ein wiederkehrendes Verlaufsmuster (temporal und strukturell), und lässt sich in Phasen gliedern. Ein Zyklus kann durch die Aspekte Wiederholung, Phasen, Dauer, Auslöser und Auswirkungen charakterisiert werden.
Im Sonderforschungsbereich 768 wird der Innovationsprozess in sieben Phasen von der Bedarfsidentifikation bis hin zur Nutzung differenziert (siehe Abb. 3.1). Es handelt sich hierbei um eine erweiterte Nutzungsphase, die auch das Upgrading und die Entsorgung von Produkten umfasst. Der Innovationsprozess ist nicht als linearer Prozess zu betrachten. Zyklen im Sinne von Prozessiterationen und Abstimmungsaktivitäten treten auch zwischen den einzelnen Phasen auf.
Zielsetzung des Zyklenmanagements von Innovationsprozessen ist es, die verzahnte Entwicklung von Leistungsbündeln auf Basis technischer Produkte zu gestalten. Um Zyklen zu handhaben, soll der Methodeneinsatz Unternehmen dabei unterstützen, unternehmensinterne und -externe zyklische Einflussfaktoren zu antizipieren und entsprechend proaktiv zu reagieren. Weiterhin unterstützen die Methoden und Werkzeuge bei der Gestaltung von Zyklen, z. B. in der strategischen Planung, in Entwicklungsprozessen oder in der Nutzungs- und Modernisierungsphase. Außerdem sollen Innovationsprozesse effizienter geplant und koordiniert werden. Dies erfordert es Prozessgrößen wie den aktuellen Grad der Erreichung von Entwicklungszielen zu messen und darauf aufbauende Verbesserungsmaßnahmen zu definieren. Auch vielfältige Abhängigkeiten, beispielsweise zwischen Subprozessen zur Leistungserstellung, den einzelnen Leistungselementen innerhalb eines Produktes oder verschiedenen Produkt- Generationen, werden systematisch erkannt und analysiert, um die Abhängigkeiten aktiv zu gestalten und zu beherrschen.
Insgesamt sollen Unternehmen durch das Zyklenmanagement befähigt werden, innovative Produkte kundengerecht, effizient und flexibel zu entwickeln. Weitere Informationen zum SFB 768, wie die Projektstruktur und die Inhalte der einzelnen Teilprojekte, sind unter http://www.sfb768.tum.de↗ zu finden.
Modul- und Plattformstrategien
In diesem Kapitel werden die begrifflichen Grundlagen von modular strukturierten Produktfamilien und dem zugrundeliegenden Prinzip der Plattformarchitekturen im Kontext des vorliegenden Leitfadens eingeführt.
Abb. 3.2 gibt die hierarchische Strukturierung eines Produktportfolios wieder. Das Produktportfolio bildet hier die Summe aller angebotenen Produkte eines Unternehmens in allen Märkten ab . Ein Produktportfolio wird sowohl durch seine Breite (Anzahl verschiedener Produktarten oder -familien) als auch durch seine Tiefe (Anzahl der Varianten, die pro Produktgruppe angeboten werden) beschrieben. Eine Produktfamilie repräsentiert eine Reihe von einzelnen Produkten, die eine gemeinsame Technologie teilen und eine ähnliche Anwendung (Funktion) auf dem Markt adressieren . Abgeleitet aus einer Produktfamilie bilden Basisvarianten die nächste konkrete Stufe. Eine Basisvariante beschreibt Produkte mit einem in der Regel hohen Anteil identischer Komponenten, die Ähnlichkeiten in Bezug auf Geometrie, Material oder Technologie aufweisen. Anlehnend an Basisvarianten werden dann Produktvarianten abgeleitet, die sich voneinander in mindestens einer Beziehung, einem Element oder bezüglich der Ausprägung mindestens eines Merkmals unterscheiden .
Um die differenzierten Varianten innerhalb einer Produktfamilie zur Befriedigung verschiedener Kundenbedürfnisse auf eine kosteneffiziente Weise anbieten zu können, finden in der industriellen Praxis modulare Produktplattformen Anwendung. Eine Produktplattform repräsentiert eine Sammlung verschiedener Elemente, die von einem Satz von Produkten geteilt werden. Diese Elemente können dabei Komponenten, Subsysteme, Schnittstellen, Technologien oder Prozesse sein . Bei der Plattformdefinition muss entschieden werden, welche Elemente über alle Produkte konstant sind, um die Kommunalität bei gleichzeitig ausreichender Differenzierung zu maximieren.
Die benötigte Differenzierung wird dabei durch das Hinzufügen, Entfernen, Ersetzen und Skalieren von Modulen ermöglicht . Als Modul wird in diesem Kontext eine abgrenzbare Einheit bezeichnet, welche eine hohe funktionale und geometrische Unabhängigkeit besitzt. Es ist anzustreben, Module als einbaufertige, vormontierte Einheiten mit einer klar abgegrenzten Funktionalität zu definieren . Abb. 3.3 zeigt verschiedene Arten der modularen Plattformbauweise.
Durch die Integration der dynamischen Veränderlichkeit wird im Kontext des vorliegenden Leitfadens der Begriff modulare Plattform wie folgt definiert und verwendet:
Eine modulare Plattform besteht aus Modulen, die Funktionen und Komponenten beinhalten, die für alle Produktvarianten innerhalb einer Produktfamilie gleich sind, sowie über dem definierten Plattformlebenszyklus keinen Änderungen unterliegen. Diese Elemente bilden somit den standardisierten und zeitlich robusten Kern der Plattform. Alle anderen Elemente werden zur Differenzierung der Varianten untereinander genutzt und sind über den Plattformlebenszyklus veränderbar, um auf Veränderungen zu reagieren. Diese Elemente bilden die flexiblen Komponenten des Plattformsystems. Die Schnittstellen innerhalb des Plattformsystems sind zur Sicherstellung der Interoperabilität der erzeugten Produktvarianten standardisiert und unabhängig von den zeitlichen Eigenschaften des Elements.
Diese Perspektive der modularen Plattform ist in Abb. 3.4 dargestellt.
Produktarchitektur im Kontext des Leitfadens entspricht der Definition nach Ulrich . Danach definiert die Produktarchitektur die Anordnung der funktionalen Elemente und die Zuordnung der realisierenden Bauteile zu diesen Funktionen. Außerdem umfasst die Produktarchitektur die Schnittstellen zwischen den Bauteilen.
Um Unternehmen zu befähigen, ihr Produktportfolio basierend auf einem Modul- und Plattformsystem umzusetzen, wird eine Strategie benötigt. Der Begriff Modul- und Plattformstrategie beschreibt dabei den Plan für die grundsätzliche, langfristige Umsetzung eines Modul- und Plattformsystems. Der Begriff Plattformsystem umfasst dabei neben der technischen Sicht (vgl. Abb. 3.4) auch die notwendigen Prozesse und Organisationsstrukturen.
Dabei müssen die Perspektiven des Produktmanagements und der Entwicklung berücksichtigt werden, weil diese Disziplinen ein unterschiedliches Verständnis des Begriffs „Strategie“ haben können. Das Produktmanagement zielt darauf ab, die Produkteigenschaften im Plattformsystem zu berücksichtigen und zu steuern, um alle Kundenbedürfnisse zu adressieren (Top-Down-Ansatz). Hier besteht die besondere Herausforderung darin, gezielt und schnell auf dynamische Veränderungen im Markt (z. B. veränderte Kundenbedürfnisse, neue Konkurrenzprodukte oder neue Gesetzeslage) zu reagieren. Die Entwicklung dagegen beschäftigt sich mit der möglichst kostengünstigen technischen Realisierung von Modul- und Plattformsystemen (Bottom-Up-Ansatz). Ziel der Entwicklung ist es, Änderungsbedarfe am Produkt möglichst gering zu halten und nötige Änderungen aufwandsarm durchzuführen. Deshalb stehen beide Perspektiven häufig im Zielkonflikt.
Die vorgestellte Methodik adressiert diesen Zielkonflikt, indem beide Perspektiven in einer gemeinsamen Modul- und Plattformstrategie integriert werden. Dies wird durch die vorgesehene Synchronisation und Abstimmung beider Sichtweisen bei der Gestaltung und kontinuierlichen Pflege der Modul- und Plattformstrategie erreicht. Insgesamt beschreibt die Methodik in diesem Leitfaden also eine übergeordnete Strategie, die ein zyklengerechtes Modul- und Plattformdenken ermöglicht. Diese Denkweise zielt darauf ab, das dynamische Umfeld eines Unternehmens bei der Gestaltung sowie bei der Pflege einer Modul- und Plattformstrategie zu berücksichtigen.
Anleitung zum zyklenorientierten Modul- und Plattformdenken
Wie eingangs beschrieben nimmt die Segmentierung und Dynamik der Kundenanforderungen in den Märkten zu. Diese Umstände erfordern ein Produktportfolio, das durch hohe Qualität und Individualisierbarkeit mit kürzeren Produktlebenszyklen gekennzeichnet ist, um auf Markteintritte von Konkurrenzprodukten und andere Einflüsse effizient zu reagieren. Dies erfordert von einem Unternehmen die Fähigkeit, externe Veränderungen zu identifizieren und vorauszuplanen, sich daran anzupassen und entsprechend zu reagieren. Im Kontext der Produktentwicklung definieren Buganza & Verganti die Begriffe der Produktflexibilität und Entwicklungsprozessflexibilität als entscheidende Aspekte der Flexibilität. Da die beiden Prozesse der strategischen Entscheidungsfindung und der Produktentwicklung stark miteinander verknüpft sind und die gemeinsamen Schnittstellen den Großteil der Produktflexibilität festlegen, werden diese dynamischen Fähigkeiten (Produkt- und Prozessflexibilität) hier in einer Methodik integriert. Strategische Entscheidungsfindung ist im Hinblick auf Produktflexibilität für die Festlegung notwendiger funktionaler Flexibilität der Produkte verantwortlich (Top-Down), wohingegen die Produktentwicklung zur Aufgabe hat, diese funktionale Flexibilität effizient und kostenschonend im Produkt zu realisieren (Bottom- Up). Zwischen den Akteuren und Teilhabern dieser Prozesse bedarf es effektiver Kommunikation, um den Ansatz der Produktflexibilität vollständig im Unternehmen zu integrieren.
Folglich kann Produktflexibilität im industriellen Umfeld nur umgesetzt werden, wenn die Prozesse für strategische Entscheidungsfindung (Top-Down-Ansatz) und Produktentwicklung (Bottom-Up-Ansatz) hinreichend definiert sind. Zudem bedarf es der Synchronisation beider Ansätze, um ein kohärentes Ergebnis zu liefern, das sowohl den Ansprüchen auf strategischer Ebene als auch auf der Ebene der Produktarchitektur gerecht wird. Basierend auf dieser Folgerung wurde eine Methodik zur Erstellung und Pflege einer zyklengerechten Plattformstrategie entwickelt, die die Produktflexibilität in drei Planungsphasen integriert (siehe Abb. 4.1).
Alle drei Phasen beinhalten den strategischen Ansatz (Top-Down) und den Ansatz auf Ebene der Produktarchitektur (Bottom-Up). Beide Sichtweisen bedürfen der Synchronisation innerhalb jeder der drei Phasen. In der ersten Phase Planung der Flexibilität wird die grundsätzliche Flexibilität identifiziert, die das Plattformsystem aus strategischer Sicht aufweisen muss bzw. aus Sicht der Produktarchitektur aktuell aufweisen kann. In der zweiten Phase Operationalisierung wird die Umsetzungsplanung der identifizierten Flexibilität in Form zweier Roadmaps angestoßen, die sowohl den Top-Down- als auch den Bottom-Up-Ansatz widerspiegeln. Die abschließende dritte Phase umfasst das Lebenszyklusmanagement für das Plattformsystem und dementsprechend die Entwicklung der Kontrollpläne für die Strategie und Produktarchitektur.
In allen drei Phasen spielen dynamische Einflussfaktoren eine zentrale Rolle. Abhängig vom Wissen über deren dynamische Eigenschaften werden diese in antizipierbare und nicht antizipierbare Einflussfaktoren klassifiziert. Basierend auf den antizipierbaren dynamischen Einflussfaktoren werden die Ergebnisse der ersten beiden Phasen, die nötige Flexibilität des Plattformsystems sowie die Entwicklungszyklen in den Roadmaps, erarbeitet. In der dritten Phase werden Monitoring-Methoden angewendet und eine passende Organisationsform vorge schlagen, welche eine effiziente Reaktion auf die nicht antizipierbaren, aber bekannten Einflüsse erlauben.